Nai hanmer g'sait!

 

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Noch 1969 berichtet die Badische Zeitung ganz unaufgeregt von der Wiederaufnahme deutsch-schweizer Gespräche über eine mögliche Erwärmung des Rheinwasser, mit der zu rechnen sei, wenn die geplante "Perlenkette" von Kernkraftwerken rechts und links vom Oberrhein in Betrieb ginge. Eher beiläufig erfuhr der Leser, was in den Metropolen der Macht geplant wurde. Eine Allianz von Landesregierung, Energiekonzernen und Schwerindustrie hatte Großes vor. Vom Hochrhein bis zum Neckar sollte eine ganze Region in eine gigantische Industrieanlage verwandelt werden, die "Funktionen Wohnen und Erholung" sollten "in die Vorbergzone verlagert" werden (!). Größere Proteste blieben zunächst aus. Zwar formierte sich schon Mai 1972 grenzüberschreitender Unmut gegen das AKW Fessenheim (Dok.-Nr. 17587), doch die wenigen Demonstrationszüge machten keinen besonderen Eindruck bei den Regierenden. Obwohl immer mehr Informationen über das ganze Ausmaß der Bauvorhaben bekannt wurden, schien sich die breite Öffentlichkeit ob der kommenden Entwicklungen kaum zu beunruhigen. Zwar hatten sich im ganzen Dreyeckland Initiativen gegen die AKW-Pläne gebildet, doch schien deren unentwegter Aufklärungsarbeit bei den Betroffenen kaum auf Widerhall zu stoßen. Um so überraschter waren die administrativen Visionäre, als sich im September 1972 erster Widerstand gegen die Pläne der Regierenden und der Industrie formierte. Binnen kurzer Zeit entstand in der Peripherie eine Bewegung, die den Metropolen das Fürchten lehren sollte. Ein Bündnis von Stadt und Landbevölkerung, von deutschen, schweizer und französischen Staatsbürgern, von Feministinnen und Landfrauen, von "Winzern, Wissenschaftlern und Studenten" wehrte sich gegen das größenwahnsinnige Projekt eines "Ruhrgebiets am Oberrhein". Politisch-Ideologisch passte die Bewegung in keines der vertrauten Schemata, und als Organisation war dieses erste Netzwerk der Regionalgeschichte nicht zu fassen.

Am 23. Februar 2005 jährte sich zum 30. Mal der Tag, an dem in Wyhl der AKW-Bauplatz von 28.000 Demonstranten überschwemmt und die badenwürttembergische Landespolizei definitiv nach Hause geschickt wurde.

In den folgenden Jahren versuchten andernorts die überall aus dem Boden geschossenen Bürgerinitiativen die Erfolgsgeschichte des Wyhler Modells zu wiederholen, mit mehr oder weniger Erfolg, aber mit einem gewaltigen politischen Nachhall: Brokdorf, Grohnde, Kalkar, Gorleben, Zwentendorf, Malville - die Parole bei der ersten versuchten Platzbesetzung in Norddeutschland (Brokdorf, Oktober 1976) hieß: "Macht's wie in Wyhl!"

Daß Wyhl verhindert wurde, war jedoch keineswegs nur ein Akt der Verweigerung: aus dem Kampf gegen das AKW in Wyhl und das Bleichemiewerk in Marckolsheim entstand eine durchaus zukunftsorientierte Bewegung, ein "Neues Denken" in Politik, Wirtschaft, auch Landwirtschaft, Wissenschaft, Technik. Dieses Umdenken hat unsere Region in den letzten 30 Jahren geprägt und prägt sie immer noch.

Auf dieser CD-Rom finden sich Flugblätter, Broschüren, Zeitungsartikel, Plakate, Fotos Lieder, Radiosendungen und Filmausschnitte, die diese Bewegung von ihren Anfängen bis zur Platzbesetzung im Februar 1975 dokumentieren.